Hallo Julia,
hab mich jetzt mal in diesem Forum angemeldet weil ich per Google auf Deinen aktuellen Post gestoßen bin.
Hast mein vollstes Mitgefühl.
Ich war 36 Jahre alt als es passierte und habe seitdem über 10 Jahren lang ununterbrochene starke bis allerstärkste Schmerzen (selten auch bis zur Bewusstlosigkeit) hauptsächlich wegen BWS-BSV. (Diagnose BSV wurde aber erstmals nach 4 Jahren "entdeckt"). Ich darf leider nicht mal mehr Schmerzmittel nehmen und schlafe nie länger als 5 Minuten am Stück.
Naja, die Beschwerden und den Kampf damit muss ich Dir nicht erzählen - kennst ja selber.
Wegen Deiner Frage zu OPs an BWS habe ich folgende Information mit Stand 2013:
- Ein Neurochirurgischer BSV-Eingriff in der BWS (zumindest bei mir Th1/2 und 4/5) ist mit einem extrem hohem Risiko verbunden: 30-50% Risiko auf irreversiblen Querschnitt (bei mir also Komplettlähmung ab Hals) und 10-20% Risiko auf Exitus.
- Aussichten auf Besserung: gering. Und auf Heilung - also vollständige Schmerz- und Beschwerdefreiheit: äußerst gering.
- sonstige Komplikationen durch den Eingriff: durchaus wahrscheinlich
Diese Informationen habe ich einheitlich von jedem der vielen Neurochirurgen bekommen, die ich in den letzten 10 Jahren dazu befragt habe.
Alle rieten mir vehement ab und einige meinten, "die Chirurgen, die diese OPs durchführen, haben buchstäblich Leichen im Keller und jeder zweite Patient kommt für immer im Rollstuhl raus.
Wenn mir das jemand sagt, der eigentlich sein Geld mit Neuro-OPs verdient, dann glaub ich dem das mehr als sonst jemandem.
Lt. Dieser Ärzte soll die Gefahr so hoch sein weil entweder von hinten (meistens) vorgegangen wird und der Spinal etc. unglaublich eng in den betroffenen Bereichen ist, oder wenn man von Vorne vorgeht, man an Herz und Lunge vorbei muss und das neben der direkten Gefahr auch nachhaltige Schäden und Beschwerden verursacht.
Ich will Dir damit keine Angst machen sondern gebe nur weiter was mir vertraulich und glaubhaft mitgeteilt wurde.
Wie gesagt, die Info ist schon etwas älter. Bei Dir kann das auch anders sein weil evtl. mehr Platz da ist oder am End Gefahr im Verzug ist. Das muss individuell abgeklärt werden.
Das Risiko dabei bleibt aber dennoch hoch. Deshalb weigern sich die meisten da ne OP zu machen, solange nicht Querschnitt droht.
Ich hab jetzt auch was von mikrochirurgischen Eingriffen mit Zugang über die Seite gelesen? Stimmt das? Ist das neu? Aber ob ein frühberenteter Kassenpatient wie ich sowas bekommt?...
Empfehlung:
mach Dich vorher richtig schlau! Vertraue niemals nur einem Arzt! Schon gar nicht dem, der den Eingriff durchführt.
Lass Dich auch unbedingt zusätzlich von einem fachkompetenten Arzt beraten, der NICHT mit Neuro-OPs sein Geld verdient!
Allerdings ist die einzige, wirklich zuverlässige Quelle: hol Dir Erfahrungsberichte von Patienten / deren Angehörigen ein, an denen tatsächlich der betreffende Eingriff vorgenommen wurde (ich selbst habe mich dahingehend noch nicht schlau gemacht - mir hat genügt was die Neuros gesagt haben)
Was ich Dir (und jedem anderen Betroffenen) zum Thema "Schmerzen ohne Ende" allgemein raten kann:
- Schwerbehinderung mit mind. 50% durchdrücken. Aber nur soweit sinnvoll. Also bei fester Arbeitsstelle -> erweiterter Kündigungsschutz.
Notfalls vor Sozialgericht klagen, wenn sich das Versorgungsamt anstellt oder nur 40 geben will.
Dabei unbedingt die psychische Komponente übertrieben darstellen. Das zieht mehr als der physiologische Befund alleine.
- Nicht mehr arbeiten gehen, solange man die Schmerzen hat. Auch wenns ein massiver Verlust ist.
Ich hab 7 Jahre mit den Schmerzen und am End mit den heftigen Opiaten Volltag gearbeitet - ein großer Fehler.
Man hat bis zu 1,5 Jahre Krankengeld-Anspruch bei Arbeitsunfähigkeit! Nutz das.
- stattdessen wenn sinnvoll Erw.minderungs-Rente beantragen - am besten über den VDK (wenn Du aber BJ 83 bist, wohl eher nicht) oder schauen, dass man anderweitig fin. Unterstützung bekommt und diese Hilfe nicht scheuen. Stolz ist hier fehl am Platze.
- vorsichtig mit den Opiaten! Die Ärzte, die den Mist verschreiben, müssen die massiven Behinderungen / Defekte an Geist und Körper und den anstehenden Entzug nicht durchstehen.
Finger weg von Fentanyl, Buprenorphin und ähnlichen hochpotenten Sachen (s.o.). Die saugen einem tatsächlich das Leben aus. Das ist nur was für Leute im Endstadium Krebs.
Wenn dann sollte Morphin, Oxy oder vielleicht noch Hydromorphon o.ä. das Maximum sein (...... 1 bis 8). Steigern nur wenn absolut nötig.
Spätestens alle 2 Jahre einen Entzug machen (nie alleine / kalt sondern immer im Krankenhaus!).
- versuche Dein Leben von allen schädlichen Einflüssen zu befreien, soweit möglich. z.B. absolut keinen Stress, kein Lärm, Abspühl jemand anderes machen lassen, Wasserkisten nicht selber tragen, schlechte Stühle und Matratze erneuern (bei mir ging nur ein sogen. "Luftbett" für ein Schweinegeld) usw.
- forciere die positiven Dinge (z.B. viel Musik die Dir gut tut, jeden schönen Sonnenuntergang auskosten, lachende Kinder ist ne klasse Therapie etc...)
- wenn es Dir zwischendrin mal gut geht oder Du Dich freuen kannst: Dann tu es! Besonders intensiv und mit Hingabe! Bloß nicht denken "mei, da denken die anderen, so schlecht kanns der net gehen" o.ä.
- Sorge gut für Dich und höre auf Deinen Körper: beende ein Gespräch wenn Du nicht mehr kannst, geh zur Sprechstundenhilfe und sage, dass Du schwerbehindert bist und vom Sitzen+Stehen brutale Schmerzen hast und vorgezogen werden musst, zieh Dich warm an wenns kalt ist, Benutze Ohrenstöpsel wenn die Nachbarn Rambazamba machen (Ohropax Silikon ist klasse) usw.
- versuch nicht zu oft und zu lange in den Depressions-Keller zu rutschen. Dauernd über sein Elend nachdenken nutzt nix!
- Wenn die Fahrerei von den Schmerzen her geht empfehle ich den Aufwand, Dir einen guten Psychotherapeuten zu suchen (nur mit verhaltenstherapeutischem Ansatz!). Das bringt was.
- minimiere alle sonstigen Arztbesuche und konventionelle Therapien. Wenn man nur noch einen Arzttermin nach dem anderen hat, dann führt das zur Verschlimmerung. Also nur das Nötigste. Die Therapien zuhause machen nachdem Du sie gelernt hast.
- Bei mir sind am effektivsten Entspannungsübungen (Hab ne gute CD), Dehnungsübungen, leichte Bewegungsübungen und Tens (nicht übertreiben). Manchmal geht auch Nordic Walken (mit gut federnden Schuhen auf weichen Wald-/Wiesenwegen).
- mach ne multimodale Schmerztherapie (ich war in Erlangen - ist Klasse) Man lernt wie man sich doch ein wenig helfen kann.
- Die psychosomatischen Rehas haben bei mir nicht so viel gebracht (außer das echte Verständnis der anderen Patienten mit Dauerschmerzen und manche psychologischen Gruppentherapien). ich hatte 3 Stk. à 6 Wochen und sie waren eher anstrengend als hilfreich. Erst wirst dort aufgebaut und mit Illusionen und Hoffnung vollgepumpt und zuhause kracht dann alles extrem zusammen wennst merkst, dass die Tricks und Infos im alltäglichen Leben nicht effektiv anwendbar sind.
- die orthopädische Reha war zumindest bei mir für die Katz. Höchstens vielleicht die psychologischen Gruppensitzungen.
- verschwende keine kostbare Energie mit dem Versuch andauernd und jedem Dein Leid / Schmerz zu erklären, auch wenn das Bedürfnis danach da ist: Es klappt nicht!
Und selbst wenn - keiner wird Dir wirklich glauben können weil das jedem eine Scheißangst macht.
Außerdem machst Du Dich nur selbst fertig wenn Du Dich dabei jedes mal geistig "ins Zentrum Deine Qualen" begibst.
Also nur Deinem Süßen (sofern vorhanden) und direkten Verwandten mit einfachen Worten erklären wenns nötig ist. Und eben den Ärzten die es wissen müssen (Gutachten, AU etc.)
- Lass Dich so oft streicheln und in den Arm nehmen wie es nur geht und wann immer es nötig ist (fühl Dich gedrückt)
- Gönn Dir soviel Ruhe, Frieden, Trost und Freude wie möglich.
- Hege & pflege die Dinge, die Dir Kraft geben können und Du noch machen kannst - sie sind der Schlüssel zum Durchhalten.
- und am wichtigsten: Durchhalten! (jeder mit Dauerschmerzen macht sich irgendwann Gedanken über ein "vorzeitiges Ausscheiden").
Aber nur so lange man am Leben ist, hat man eine gute Chance auf Gesundung und wieder Freude am Leben zu bekommen!
Das ist alles nur meine Erfahrung/Meinung und nur Empfehlungen. Stell Dir Deinen eigene, individuelle Strategie gegen den Schmerz zusammen.
Wenn Du Dich zum Thema 'aktuell mögliche OPs an BWS und deren Risiken' schlau gemacht hast, wäre ich für eine Rück-Info dankbar.
Ich wünsch Dir ganz schnelle Heilung oder wenigstens Besserung, Hilfe und Trost. Du bist nicht alleine mit Deinem Leid!
Christoph
P.S. Sorry wegen dem Haufen Text. Könnte Bücher schreiben
wenn jemand gezielt Fragen zu meinen Erfahrungen zu den Themen Schwerbehinderung, langer Arbeitsausfalles, Erwerbsminderungsrente, Opioid-Medikation /-Entzug, Schmerztherapie, psychosomatische- /orthopädische Reha, usw. hat -> bitte PN (Antwort kann dauern)