
Hallöchen,
soeben bekomme ich einen Bericht der Forschungsgruppe Akupunktur in die Hände, den ich Euch nicht vorenthalten möchte.
Es geht um die Stellungnahme zum oben bereits aufgeführten Artikel im Spiegel
Nr. 44
Ich setze ihn im Orginaltext ein:
Kommentar zum Spiegelartikel
Während nahezu alle Medien in Deutschland ungewöhnlich positiv bis enthusiastisch über die ersten Ergebnisse von gerac berichten, berichtet der Spiegel polarisierend, unter Auslassung wichtiger Details scheinbar kritisch und in üblichem Jargon. Hier deshalb zuerst noch mal das Hauptergebnis und nachfolgend wichtige Punkte, die im Spiegelartikel fehlen.
Ergebnisse der gerac Studien:
Hauptergebnis: Nach ca. 35 Jahren westlicher Forschung konnte für chron. Gonarthrose und Kreuzschmerz erstmals gezeigt werden: Akupunktur wirkt nahezu doppelt so gut wie eine leitlinienorientierte Standardtherapie – besser als Antiphlogistika, Opiate, Krankengymnastik und Massagen zusammen - und das bis zu 6 Monate lang praktisch nebenwirkungsfrei. Welche westliche Therapie gibt es, die mit 10-15 Sitzungen bei chronischen Krankheiten ein solches Ergebnis erzielt? Das ist das wesentliche erste Ergebnis der gerac Studien – und zwar unantastbar auf Grund der Größe und Rigorosität der Studie.
Weiteres Ergebnis: Die TCM Akupunktur ist erkennbar, aber nicht signifikant, der für gerac entwickelten neuen Akupunktur an nicht TCM Punkten (Sham) überlegen. Der Unterschied ist Gegenstand weiterer wissenschaftlicher Fragen und einer jetzt anstehenden genauen Datenanalyse. Wichtig ist hierbei, dass die TCM Akupunktur besser als die Sham-Akupunktur abschneidet und zwar jeweils bei der Schmerzlinderung, der Funktionsverbesserung, der Wirksamkeit direkt nach Therapieende, sowie nach 3 Monaten und nach 6 Monaten, und insbesondere bei der Anzahl der zusätzlich eingenommenen Medikamente.
Weitere Diskussionspuntke
1. Die Sham-Akupunktur ist nicht wirkungslos. Sie geht bekanntermaßen über einen rein suggestiven Placeboeffekt hinaus. Postulierte wurde bei gerac eine schwächere Wirksamkeit als eine TCM Akupunktur. Diese wurde auch tendenziell, allerdings geringer als erwartet, gezeigt. Neuere Metaanalysen zeigen inzwischen tatsächlich auch einen signifikanten Unterschied zwischen TCM und Sham-Akupunktur.
2. Die Sham-Akupunktur erfolgte von geschulten Ärzten an definierten Punkten. Es wurde gerade nicht irgendwohin gestochen, sondern die neuen gerac Punkte lagen teilweise nur cm entfernt von möglichen Ahshi Punkten. Der Schluss, ungeschulte Ärzte könnten jetzt egal wohin stechen, ist Unsinn. Man stelle sich vor zwei Medikamente haben unterschiedlich gute analgetische Wirkung – wer würde dann behaupten, man könne jetzt wahllos irgendein Medikament (vielleicht ein Antibiotikum) nehmen?
3. Die TCM-Akupunktur musste eingeschränkt werden: keine Moxibustion (da unmöglich zu verblinden), keine Elektrostimulation (vom Bundesausschuss nicht erlaubt), für viele Patienten 10 statt 15 Sitzungen, und das entgegen eingeholtem nationalen und internationalen Expertenrat (von den Kassen geforderter Kompromiss), teilstandardisierte Punktauswahl, Syndromtherapie nur in Ansätzen. Der Akupunktur wurden somit die Flügel zwar nicht abgeschnitten (wie das in vielen anderen Studien passiert ist), aber auch bei gerac mussten die Flügel gestutzt werden. Es wurde also nicht eine optimale Akupunktur geprüft, sondern ein Akupunktur, die in etwa die gängige Anwendungssituation in Deutschland bei 350 Ärzten unter Kassenbedingungen widerspiegelt: umso erstaunlicher, dass auch unter diesen Bedingungen diese hohe Überlegenheit über die Standardtherapie nachgewiesen werden konnte.
4. Zwar hatten alle Ärzte mindestens eine 140 stündige Ausbildung und wurden vor Studienbeginn ca. 2 Stunden lang bezüglich der Akupunktur geschult. Die teilnehmenden Kollegen kamen aber von unterschiedlichen Gesellschaften und Schulen. Wie überall in der Medizin unterscheiden sich die Schulen in ihren Lehrmeinungen. Haben alle Kollegen, auch wenn Sie vorher über Jahre an andere Punkte gewöhnt waren, sich exakt an die Akupunkturvorgaben von gerac gehalten? Waren alle Kollegen in der Lage, die zum Teil sehr komplexe gerac Akupunktur (incl. Syndromdiagnostik) durchzuführen? Eine Datenanalyse hinsichtlich unterschiedlicher Ergebnisse in Abhängigkeit von der jeweiligen Ausbildung steht noch aus.
5. Bei allen Multicenterstudien gibt es Nivellierungseffekte. In diesem Zusammenhang ist der Vergleich mit einer Publikation in der renommierten Zeitschrift PAIN (2002) interessant – hier konnte in einer monozentrischen Studie mit kontrollierter Akupunktur-Anwendungsqualität gezeigt werden, dass die TCM Akupunktur bei chronischem Kreuzschmerz einer Sham-Akupunktur und einer Standardtherapie sehr wohl signifikant überlegen sein kann.
6. Die meisten Kollegen waren angehalten, bei gerac teilzunehmen, damit sie weiterhin in den Modellvorhaben bleiben konnten – die Kassen drohten ansonsten mit Kündigung der Modellverträge. Haben diese Kollegen ihre Shampatienten so behandelt wie in der Studie vorgesehen – mit Punkten, von denen Sie glaubten, dass sie nicht wirken würden? Haben Sie riskiert, durch eine schwächer wirkende Sham-Akupunktur ihre Patienten zu verlieren? Das ist nicht bekannt, denn letztlich war bei der Ausführung der TCM- und der Sham-Akupunktur der Arzt mit dem Patienten allein. Zwar musste alles genau dokumentiert werden, aber eine Kontrolle der Akupunktur konnte nicht stattfinden. Auf diesen Umstand wiesen kritische Fragen auf dem Orthopädenkongress hin. Möglicherweise kann schon allein hierdurch das unerwartet gute Abschneiden der Sham-Akupunktur erklärt werden.
7. Wenn man aufgrund der Ergebnisse die Akupunkturausbildung in Frage stellt, so müsste man zuerst die schulmedizinische Ausbildung abschaffen - denn diese schneidet am schlechtesten ab. Aber auch das ist logischer Unsinn: Angenommen zwei Chirurgen erreichen mit unterschiedlichen Schnitttechniken ähnlich gute Ergebnisse – soll man sich dann am besten von einem Chirurgen ohne Ausbildung operieren lassen? Diese absurde Logik zeigt, mit welch unterschiedlichem Maß Schulmedizin und chinesische Medizin gemessen werden. Viel mehr muss man fordern, dass, ausgehend vom Verständnis der TCM, in die Ausbildung ständig neue Erkenntnisse aus der Praxis und Wissenschaft integriert werden, um gerade jetzt, bei erfolgtem Wirksamkeitsnachweis, die Akupunktur ständig weiter zu verbessern.
Im übrigen geht die Ausbildung natürlich weit über die Behandlung von Rückenschmerz und Gonarthrose hinaus - viele andere Indikationen, z.B. gynäkologische, internistische Erkrankungen und viele die Akupunktur ergänzende Verfahren wie Phytotherapie, Diätetik sind Gegenstand der Ausbildung.
Vorstand FATCM e.V.
(Forschungsgruppe Akupunktur und Traditionelle Chinesische Medizin)
Ich glaube diese Untergrundinformationen lassen eigene Rückschlüsse auf den Spiegelbericht zu.
Hansi
