Es sind jetzt über 10 Jahre nach der Diagnose Massenprolaps an der LWS vergangen, und vielleicht hilft es manchen frisch Betroffenen hier ein Update zu geben.
***Weil es länger geworden ist als gedacht hier das Fazit: JA, mit Geduld zu sich selbst, ironischer Distanz zur Diagnose, viel Recherche in Eigenregie und konsequenter Lebensumstellung geht es sehr gut***
Der Prolaps wurde im Frühjahr 2013 diagnostiziert, nach mindestens 5 Jahren chronischen Rückenschmerzen. Es wurde mir vom Ortho-Chefarzt mehr oder weniger dringend zur OP geraten, der Prolaps war fast 2cm gross und ich hatte kein Gefühl in der linken Fußsohle. Bei etwas längerem Sitzen oder Stehen hat sich mein linkes Bein angefühlt, wie wenn Beton langsam eingefüllt werden würde, es wurde schwer und taub. Ich habe mich dennoch zu konservativen Therapie entschieden. Bedeutete ca. 3 Wochen Schonlage, mit wenigen regelmäßigen Bewegungen, und vor allem kein Bücken, habe mir damals nichtmal die Schuhe selbst angezogen. (nicht auf ärztlche oder Physio-Empfehlung: diese rieten mir zu mehr Bewegung, so wie es der Schmerz zuließ). So wie das Gefühl langsam zurückkam und die Schmerzen sich besserten, fang ich meine Therapie an: praktisch jeden Tag ins Schwimmbad für eine Stunde. Anfangs wenig Schwimmen, dafür viel beim Massagestrahl im unteren Rücken. Am Wochenende in die Therme.
Am wichtigsten war wahrscheinlich die Lebensumstellung: keine 60Stunden im Büro mehr, dafür täglich Bewegung. Das Schwimmen ging immer besser, und nach einem halben Jahr oder auch etwas länger beherrschte ich das Kraulen technisch so weit, dass ich längere Zeit und Strecken schwimmen konnte, ohne aus dem Atem zu sein. Schwimmen ist schon speziell, weil es stark auf die Technik ankommt. Rückenschwimmen ist auch gut, aber der Schwimmstil den ich in dieser Zeit fast zufällig gefunden habe ist "Total Immersion" und war für mich ein Glücksfall, wegen der meist gestreckten Haltung und rückenschonenden Form. Ist am Anfang ziemlich schwer zu erlernen aber es hilft wenn man vorher nicht gut schwimmen konnte, weil man nicht in alte Muster zurückfällt. Es ist mehr wie ein Meditieren in Bewegung, noch immer mein liebstes Training, auch wenn ich inzwischen wegen dem Chlor sehr wenig im Schwimmbad bin)
Nach ca. 3 Jahren wurde das Schwimmen deutlich weniger, dafür die Kraftübungen viel mehr. Hauptsächlich Training ohne Gewichte, wie Klimmzüge (sehr hilfreich), Liegestützen, dips, Kniebeugen (eher spät und vorsichtig angefangen) und vor allem core-Übungen für unteren Rücken und den Bauch, weil die für die Stabilisierung zuständig sind. Aber auch hier vorsichtig sein, eher keine Situps und Ähnliche. Dieses Training fast jeden zweiten Tag, dazwischen Ausdauer (meist Zone 2), und ich bin in einer besseren Form als jemals zuvor. Auch habe ich ein komplett anderes Lebens- und Körpergefühl als vor dem Massenprolaps, wo ich hauptsächlich nur Laufen war und kaum Kräftigungsübungen gemacht habe.
Rückblickend noch ein paar Eckpunkte:
- Ich musste so ehrlich sein und die Gründe für den BSV finden und dort ansetzen, anstatt nur gegen die Symptome anzukämpfen: Job gewechselt, nicht mehr lange Sitzen sondern auch im Stehen arbeiten, mehr und besseren Sport, ausgeglicheneres Leben insgesamt.
- Es waren sicher die ersten 3 bis 4 Wochen mit Nicht-Beugen und die Schonlage entscheidend, wo ich jeden Tag darauf gewartet habe, dass die Lähmung im Fuss zurückgeht und doch nicht permanent bleibt.
- Danach war es ein fließender Übergang von Rehabilitation zu einem regelmäßigen Trainingsplan. Physio habe ich anfangs zwei Wochen lang gemacht, aber in weiterer Folge die Zeit lieber im Schwimmbad verbracht.
- Es ist nicht wie vorher: Nach langem Sitzen oder harter körperlicher Arbeit meldet sich der BSV wieder. Ich grüße ihn wie einen alten, lästigen Freund der wieder geht wenn ich ihm etwas Beachtung schenke. Er kommt jedenfalls verlässlich, wenn ich mein Training vernachlässige. Ansonsten mache ich alles, auch selbst Betonieren beim Hausrenovieren, versuche aber mehr auf den Rücken zu achten, was manchmal besser und manchmal weniger gut geht.
- Es war nicht einfach: zu wissen dass mit der Lähmung die OP indiziert wäre, nicht zu wissen ob diese weggeht. Die Autofahren zur Therme, mit extremen Schmerzen wo jede Delle in der Strasse eine Qual war. Wochenlang im Krankenstand zu sein, und danach den Job zu wechseln. Es brachte mich aber auch zum Schwimmen, und zu dieser Technik (total immersion).
- Nach den jahrelangen Rückenschmerzen (wegen chronisch falscher Belastung) hat der Schmerz an sich seine Signalwirkung verloren, was sicher auch zum BSV beigetragen hat. Es war nicht selten, dass ich bei Rückenschmerzen Tabletten geschluckt habe und länger laufen ging, um mich davon abzulenken. Den klassischen Test ob ein LW BWS vorliegt habe ich nicht bestanden: Der Arzt konnte mein Bein soweit hochheben wie er konnte, ich habe nicht geschrien, es hat nur "wie gewohnt" weh getan, weil ich es eben sehr lange auch viel stärker gewohnt war. Als er etwas später das MR Bild gesehen hat, wollte er's nicht glauben. Auch beim Training oder beim Arbeiten jetzt muss ich mich immer wieder zurückhalten und schaffe es mal besser, meist weniger gut.
Es gibt sicher sehr viele, für die (fast) jeden Tag eine Stunde Sport zeitlich oder gesundheitlich nicht in Frage kommt. Ich weiss es auch nicht besser als die meisten von euch und ich kann keine Tips geben, sondern nur von dem berichten, was mir geholfen hat. Ich habe jedenfalls ohne Physiotherapie, in Eigenregie den Massenprolaps dermaßen überwunden, dass ich ehrlich sagen kann jetzt ein besseres Leben zu führen als vor dem Vorfall.
Und das "Beste" noch zum Schluß: ich habe gerade in einem anderen Thread die Frage gestellt ob starke Akutschmerzen im Hals auch mit 2 Tagen Verspätung nach einem BSV auftreten können - wahrscheinlich wegen Überanstrengung beim Training. Alles in Maßen - war noch nie einfach...